Neue Zahlen im Merkblatt zum Mammographie-Screening

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschusses das Merkblatt zum Mammographie-Screening überarbeitet und präsentiert neue Zahlen zu Nutzen und Schaden der Früherkennungsuntersuchung. Demnach stehen 1 bis 2 geretteten Leben 5 bis 7 Überdiagnosen pro 1.000 teilnehmenden Frauen gegenüber, bezogen auf einen Zeitraum von 10 Jahren Screening. [1]

RCTs als Datengrundlage

Seine Nutzen-Schaden-Bilanz stützt das IQWiG ausschließlich auf Ergebnisse aus randomisierten kontrollierten Studien (RCTs). RCTs oder systematischen Übersichtsarbeiten von RCTs wird in der Wissenschaft das höchste Evidenzlevel zugeschrieben [2]. Auch das UK Panel hat für seine Nutzen-Schaden-Bilanz von 2012 RCTs herangezogen [3].

Allerdings sind die RCTs zum Mammographie-Screening bereits 20 bis 50 Jahre alt. Therapie- und Diagnostikmöglichkeiten haben sich seitdem stark verbessert. Aktuellere Daten liefern hochwertige Beobachtungsstudien aus laufenden Mammographie-Screening-Programmen. Auf diese stützen sich unter anderem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und die EUROSCREEN Working Group in ihrer Nutzen-Schaden-Analyse [4, 5]. Nachteil dieses Studientyps ist allerdings seine höhere Anfälligkeit für systematische Verzerrungen (Bias). Beobachtungsstudien werden daher einem niedrigeren Evidenzlevel zugeordnet.

Brustkrebsmortalität um 20% reduziert

Das organisierte Mammographie-Screening reduziert laut IQWiG die brustkrebsspezifische Mortalität von Frauen zwischen 50 und 69 Jahren um rund 20 %. [1] Dieser Wert entspricht dem internationalen Konsens und wird sowohl von Befürwortern des Screenings (z.B. WHO, UK Panel, Health Council of the Netherlands) als auch von Kritikern (z.B. Gøtzsche/Jørgensen, Swiss Medical Board) anerkannt.

Bei seiner Angabe der absoluten Zahlen stützt sich das IQWiG auf die Ergebnisse aus der Meta-Analyse von der Canadian Task Force on Preventive Health Care [6], da dort die betrachtete Altersgruppe am besten den festgelegten Einschlusskriterien des IQWiG entspricht. Demnach werden 1 bis 2 von 1.000 Frauen vor dem Tod an Brustkrebs durch das Mammographie-Screening gerettet, bezogen auf einen 10-Jahres-Zeitraum. [1]

17,3% Überdiagnosen während Screening-Zeitraum

Als bedeutendster Nachteil des Mammographie-Screenings werden Überdiagnosen angesehen.

Überdiagnosen sind Brustkrebsdiagnosen, die zu Lebzeiten der betroffenen Frau ohne Früherkennungsuntersuchung nicht auffällig geworden wären. Auf die einzelne Frau bezogen kann nicht individuell festgestellt werden, ob es sich bei ihr um eine Überdiagnose handelt oder nicht. Es ist nur möglich, mittels mathematischer Modelle die Häufigkeit von Überdiagnosen zu schätzen.

Das IQWiG orientiert sich bei seiner Schätzung zu Überdiagnosen an der Methodik des UK Panels und führt eine eigene Meta-Analyse auf der Datenbasis von zwei RCTs (Malmö I und Canada II) durch. Definiert werden Überdiagnosen hier als zusätzliche durch das Screening entdeckte Diagnosen, die in einem Zeitrahmen von 6-15 Jahren nach Ende des Screenings klinisch nicht auffällig geworden wären. Die Wahrscheinlichkeit für eine Frau zwischen 50 und 69 Jahren, während der Screening-Phase eine Überdiagnose zu erhalten, liegt laut IQWiG bei 17,3 %. Ausgehend von einem Brustkrebsrisiko von 34 pro 1.000 schätzt das IQWiG die absolute Anzahl von Überdiagnosen auf 5 bis 7 pro 1.000 Frauen im Alter von 50 bis 69 Jahren, wieder bezogen auf einen 10-Jahres-Zeitraum. [1]

Nutzen-Schaden-Bilanz des IQWiG

Das IQWiG sieht die brustkrebsspezifische Mortalitätsreduktion als primären Nutzen. Als primärer Schadensparameter gilt die Rate an Überdiagnosen. Beide Parameter werden in der Nutzen-Schaden-Bilanz gegenübergestellt.

Laut IQWiG ergibt sich: 1 bis 2 gerettete Leben stehen 5 bis 7 Überdiagnosen pro 1.000 Frauen gegenüber – bezogen auf einen Screening-Zeitraum von 10 Jahren.

„Die Berechnung der Kennzahlen zur brustkrebsspezifischen Mortalität und Überdiagnosen beinhaltet erhebliche Unsicherheiten“, heißt es im Rapid Report des IQWiG. [1] Um dieser Unsicherheit Rechnung zu tragen, werden im neuen Merkblatt die Zahlenangaben durch Spannen ausgedrückt.

Unsicherheiten und methodische Vielfalt

Aufgrund der kontrovers geführten Diskussion um Nutzen und Schaden des Mammographie-Screenings haben in den letzten Jahren viele internationale Expertengremien solche Abwägungen durchgeführt [3, 4, 5, 6, 7, 8, 9]. Dabei zeigt sich, dasss die Herangehensweisen und zugrundeliegenden Annahmen stark variieren. Einfluss auf die Schätzungen zu Nutzen und Schaden haben – neben der Auswahl der Datengrundlage – vor allem zwei weitere Faktoren: der gewählte Beobachtungszeitraum und die Unterscheidung, ob es sich um eingeladene oder tatsächlich teilnehmende Frauen handelt. [11]

  • eingeladene versus teilnehmende Frauen

Im neuen Merkblatt wird für den Zweck einer besseren Verständlichkeit durchgängig von teilnehmenden Frauen gesprochen, obwohl sich die Ergebnisse der RCTs auf eingeladene Frauen beziehen. Da die Teilnahmerate in den Studien bei 65-85 % und nicht bei 100 % lag, kann eine direkte Übertragung der Ergebnisse auf Teilnehmerinnen zu einer Unterschätzung der betrachteten Effekte führen. [1] Dies betrifft allerdings sowohl die negativen als auch die positiven Effekte.

  • Beobachtungszeitraum

Frauen in Deutschland können 20 Jahre lang am Mammographie-Screening-Programm teilnehmen. In seinen Schätzungen bezieht sich das IQWiG auf einen 10-Jahres-Zeitraum. Das IQWiG begründet seine Entscheidung mit der Verfügbarkeit von adäquaten Daten: „Man kann unter Annahmen schätzen, was 20 Jahre Mammografie bringen. Oder man kann beschreiben, was man über 10 Jahre weiß.“ [10] Da für einen 20-Jahres-Zeitraum keine Daten aus RCTs vorliegen, wären nur Hochrechnungen möglich, die mit weiteren Unsicherheiten verbunden sind. Das IQWiG hält daher fest: „Sichere Zahlen gibt es nicht. … Für jede Schätzung gibt es mehr oder weniger gute Argumente.“ [10]

Eine ausführlichere Darstellung der methodischen Unterschiede und der Unsicherheiten einzelner Nutzen-Schaden-Abwägungen beinhaltet der folgende Artikel im Deutschen Ärzteblatt: http://www.aerzteblatt.de/archiv/173582/Mammographie-Screening-Nutzen-Schaden-Abwaegung-im-internationalen-Vergleich

 

Literaturverzeichnis Blog

[1] Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Einladungsschreiben und Merkblatt zum Mammographie-Screening. Rapid Report. IQWiG-Berichte – Nr. 288. 2015.

[2] Centre for evidence-based medicine: http://www.cebm.net/ocebm-levels-of-evidence/

[3] Independent UK Panel on Breast Cancer Screening. The benefits and harms of breast cancer screening: an independent review. 2012.

[4] Lauby-Secretan B et al. Breast-Cancer Screening – Viewpoint of the IARC Working Group. N Engl J Med 2015; 372:2353-2358.

[5] EUROSCREEN Working Group. Summary of the evidence of breast cancer service screening outcomes in Europe and first estimate of the benefit and harm balance sheet. 2012. J Med Screen 19 Suppl 1: 5–13.

[6] Canadian Task Force on Preventive Health Care. Recommendations on screening for breast cancer in average-risk women aged 40-74 years. CMAJ. 2011.

[7] Health Council of the Netherlands (2014): Population Screening for breast cancer: expectations and developments. The Hague: Health Council of the Netherlands, 2014; publication no. 2014/01E.

[8] Gøtzsche PC, Jørgensen KJ. Screening for breast cancer with mammography. Cochrane Database Syst Rev 2013; (6): CD001877.

[9] Swiss Medical Board. Systematisches Mammographie-Screening. 2014.

[10] Pressemitteilung des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. 20.04.2015. https://www.iqwig.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilungen/frauen-verstandlich-uber-nutzen-und-schaden-des-mammografie-screenings-informieren.6654.html

[11] Fügemann H, Kääb-Sanyal V. Mammographie-Screening: Nutzen-Schaden-Abwägung im internationalen Vergleich. Dtsch Arztebl 2016; 113(3): A-74 / B-67 / C-67.

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